
Das, was wir sehen, ist nicht die Realität, sondern nur unsere Realität.
Ich finde das Thema so spannend. Irgendwie muss uns doch allen bewusst sein, dass jeder Mensch anders ist und demzufolge auch anders durch's Leben geht und die Dinge anders sieht. Gleichzeitig gehen wir aber sehr oft von unserer eigenen Sicht aus, da sie uns ständig begleitet und wir es uns gewohnt sind, durch diese "Brille" zu schauen.
Einerseits schliessen wir so von uns auf andere und sind vielleicht verwirrt, wenn sie es anders sehen. Das kann auch bei kleinen Dingen, besonders in einer romantischen Beziehung, Missverständnisse oder Streitigkeiten herbeiführen. Sicherlich hast du das auch schon erlebt, dass du bei einem Thema dachtest, das ist doch sooo klar, dass man das auf diese Art sieht / macht. Vielleicht war es sogar schwierig, es deinem Partner / deiner Partnerin zu erklären, weil es für dich so selbstverständlich ist.
Doch genau solche Situationen können uns helfen, uns selber zu reflektieren, uns selber besser zu verstehen, alte Prägungen und Glaubenssätze zu hinterfragen und vielleicht über Bord zu werfen. Zudem sind sie eine Chance, das Gegenüber besser kennenzulernen.
Wir schliessen jedoch nicht nur von uns auf andere, was die Aussenwelt angeht. Auch beim Erleben von Gefühlen, bei Denk- und Verhaltensmustern gehen wir zuerst davon aus, dass dies bei uns "normal" ist und dass es bei anderen Menschen genau gleich sein muss.
Ich mache hier ein Beispiel: Als ich in der Primarschule war, wurde erst ziemlich spät bemerkt, dass ich kurzsichtig bin. Bevor ich eine Brille bekam, musste ich besonders gut zuhören und manchmal bei meinen Banknachbar*innen schauen, um Texte von der Wandtafel abzuschreiben, die ich eigentlich nicht richtig lesen konnte. Ich passte mein Verhalten an, um meine Sehschwäche zu kompensieren. Allerdings kam mir nie der Gedanke, dass ich schlechter sehe als andere. Hätte ich nie einen Sehtest gemacht, wäre ich vermutlich weiterhin davon ausgegangen, dass alle so "schlecht" sehen wie ich.
Um dieses Beispiel auf andere Themen zu übertragen: Menschen mit Hochsensibilität, ADHS oder einer Depression denken vielleicht lange, dass ihre Verhaltensweisen, ihr Erleben, ihr Gemütszustand "normal" sind und dass andere Menschen sich gleich fühlen. Das kann zu einem Druck und einem Gefühl des Versagens führen, weil man sich fragt, wieso man es nicht schafft, damit so umzugehen wie die anderen.
Zum einen kann hier eine Diagnose helfen und entlasten, weil man dann weiss: "Ich bin in diesem Bereich anders als andere und deswegen fallen mir manche Dinge schwerer oder brauche ich mehr Energie, um das auszugleichen."
Zum anderen kann man sich auch gezielter Unterstützung holen oder herausfinden, wie man sich in herausfordernden Situationen weiterhelfen kann.
Mir persönlich hat das Wissen darum, dass ich hochsensibel bin, viel gebracht und ich verstehe mich nun besser und nehme meine Bedürfnisse ernster.
Welche Dinge sind für dich "ganz normal" (und für andere nicht)? Welche davon sind für dich wichtig, welche nicht?
Welche dieser Prägungen bringst du aus deiner Kindheit / Erziehung mit? Bist du selber (noch) von ihnen überzeugt?
Bei welchen Denk- oder Verhaltensmustern tickst du anders als andere Menschen? Bei welchen fühlst du dich "nicht gut genug" oder "schwach", wenn du dich mit anderen Menschen vergleichst? Von wo könnten diese Muster kommen?
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